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Helmut Wautischer

Bewußtseinsforschung in interkultureller Diskussion


Manifestations of Human Consciousness Through Culture
24. - 28.3.1999
University of California
Berkeley
Veranstalter:
Society for the Anthropology of Consciousness

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  Vom 24. bis 28. März 1999 trafen sich im idyllisch gelegenen Faculty Club der University of California at Berkeley 67 Vortragende aus zwölf verschiedenen Ländern (einschließlich Japan, Argentinien, Südafrika, Deutschland ...) um im Rahmen des 19. Jahrestreffens der Society for the Anthropology of Consciousness ihre Forschungsresultate unter dem Konferenzthema "Manifestierungen des menschlichen Bewußtseins durch Kultur" mit den Konferenzteilnehmern zu diskutieren. Die akademische Bandbreite umfaßte 18 Fachrichtungen (Anthropologie, Philosophie, Kunst, Geographie, Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Medizin ...) und ein typischer Kongreßtag begann in der Früh um 8.30 Uhr und dauerte bis gegen 22 Uhr. Während die Morgen- und Nachmittagsbeiträge im traditionellen Vortragsstil gehalten wurden, gab es für die Abende experimentelle Arbeitsgruppen.



 Dissoziatives Verhalten

 

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  Der diesjährige Ehrenvortrag im festlichen Bankettstil wurde von Stanley Krippner gehalten, Präsident und Gründungsmitglied des Saybrook Institutes. Krippner sprach zum Thema "Die Variationen dissoziativer Erfahrung" und wies auf ein allgemeines Vorurteil hin, wonach Dissoziation meist als ein klinisches Problem verstanden werde. Diagnostische Interpretation dissoziativen Verhaltens sei nur ein Aspekt der diesbezüglichen Forschung und könne durch Interpretationen theoretischer, philosophischer, operationaler Natur usw. erweitert werden.

3

  Krippner bezieht sich auf die Forschungen von Ruth-Inge Heize und Rhea White, die in ihren Arbeiten auf die Notwendigkeit interkultureller Beurteilungen von dissoziativen Verhalten hinweisen. Während im westlichen Kulturkreis Dissoziation als ein Fehlverhalten aufgezeigt werde, welches auf mangelnder oder abwesender Selbstkontrolle beruhe, gebe es eindeutige Hinweise, daß Dissoziation auch durchwegs im Rahmen von kontrolliertem Selbstverhalten auftrete. Krippner stellte ein integratives Modell dissoziativer Erfahrungen vor, welches in der Lage ist, die interkulturellen Variationen dissoziativen Verhaltens darzustellen.



 Das anthropologische Werk Carlos Castanedas


Was die postmoderne Philosophie theoretisch erarbeitet hatte, wurde von Castaneda in anthropologische Praxis umgesetzt.

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  Zwei Plenarsitzungen wurden dem Anthropologen Carlos Castaneda gewidmet. Bekanntlich ist ja Castaneda im April 1998 verstorben, und nachdem einige der Gründungsmitglieder der Society for the Anthropology of Consciousness im direkten Kontakt mit Castaneda standen, war das diesjährige Treffen ein passender Anlaß zur Retrospektive. Wiewohl Castanedas Beitrag zur Anthropologie nach wie vor umstritten ist, so war man doch der Auffassung, daß sein Werk zumindest diskussionswürdig sei. Was die postmoderne Philosophie theoretisch erarbeitet hatte, wurde von Castaneda in anthropologische Praxis umgesetzt. In der zweiten Plenarsitzung erzählten die Teilnehmer anekdotische Einzelheiten von ihren direkten Kontakten mit Castaneda.

 

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  Einen interessanten Kontrast zu den Nachmittagsplenarsitzungen gab es dann am gleichen Abend mit einer authentischen Arbeitsgruppe zum praktischen Studium der neuesten Castaneda-Bewegung. Mitglieder des Tensegrity-Kreises lehrten einige Grundübungen sogenannter "magical passes", welche CASTANEDA angeblich direkt von Don Juan erlernt hatte. In den letzten Jahren seines Wirkens hatte Castaneda einen weltweiten Arbeitskreis aufgebaut, der zur Zeit von Cleargreen, Inc. in Los Angeles verwaltet wird.



 Politik und traditionelles Wissen



Es ist aus historischer Perspektive durchaus anzunehmen, daß traditionelles Wissen eines Tages von entscheidender Bedeutung für die Menschheit sein wird.

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  Eines der Grundprinzipien der Jahrestreffen der Society for the Anthropology of Consciousness ist die offene Diskussion und respektvolle Aufnahme von Themenbereichen, die zwar durchwegs von akademischer Bedeutung sind, oft aber im Rahmen politischer Korrektheit zensuriert werden. Diese Offenheit veranlaßte den Juristen John Hund (University of the North, Südafrika), die lange Reise nach Kalifornien anzutreten, um seine Recherchen bezüglich Hexentum und Jurisprudenz in Südafrika vorzutragen und im kompetenten Kreis zu diskutieren. Seit 1957 ist die Ausübung von Hexentum in Südafrika rechtlich verboten. Die Rechtsprechung ist nicht in der Lage, fachlich abgesicherte Urteile zum Hexentum abzugeben, und traditionelle Schamanen dürfen am Gerichtsprozeß nicht teilnehmen. Diese Situation führt gegenwärtig zu Mobhandlungen und zu unzähligen Morden an Menschen, die des Hexentums bezichtigt wurden.

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  Auch andere Vortragende äußerten sich zum Thema Politik und traditionelles Wissen. Barry Michrina (Mesa State College, Colorado) untersuchte Sun-Dance-Zeremonien der Ute-Indianer und die Verfälschung dieser Zeremonien durch Touristen. Richard Katz (Saskatchewan Indian Federated College) berichtete von seiner Arbeit mit den Juhoansi in der Kalahari-Wüste und von der zunehmenden Vermarktung traditionellen Wissens. Derartige Warnzeichen dürfen nicht übersehen werden, da es aus historischer Perspektive durchaus anzunehmen ist, daß dieses Wissen eines Tages von entscheidender Bedeutung für die Menschheit sein wird.

Helmut Wautischer ist Philosophielektor an der Sonoma State University in Kalifornien und liest gelegentlich auch an der Universität Klagenfurt in Österreich.

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  Eine diesbezüglich relevante Studie wurde auch vom Mediziner Peter Kaiser (Universität Tübingen) vorgetragen; er wies darauf hin, daß medizinische Diagnosen oftmals von politischen Faktoren beeinflußt würden und nicht nur von krankheitsspezifischen. Heilpraktiken moderner städtischer Schamanen in Rußland wurden von Galina Lindquist (Universität Stockholm) erläutert, während Jenny Blain (Dalhousie University, Canada) einen Einblick in ihre Arbeit mit isländischen Seiðr-Praktiken gab.

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  Mehrere Vortragende berichteten über die ontologischen und phänomenologischen Ursprünge von Kunstobjekten traditioneller Kulturen. Ein ästhetisch beeindruckender Beitrag war eine Videographie von Gilah Yelin Hirsch (California State University). In dieser zehn Jahre dauernden Studie vereinte Hirsch ästhetische Form und kognitive Leistung, um die Ursprünge des hebräischen Alphabets in fünf Grundmustern der Natur wiederzufinden, welche auch repräsentativ für neurale Prozesse stehen.



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