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Zentrum Moderner Orient
Kirchweg 33
D-14129 Berlin
Deutschland
Website
Ansprechpartnerin:
Claudia Schulz
Tel. +49 (30) 803 070
Fax +49 (30) 803 07-210
zmo-pr@rz.hu-berlin.de
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Die Wissenschaftler am Zentrum Moderner Orient (ZMO) erforschen die Geschichte des Nahen Ostens, Südasiens und Afrikas. Im Mittelpunkt stehen dabei überwiegend die islamischen Gesellschaften und deren Interaktionen mit der nicht-islamischen Welt. Über seine eigenen Projekte hinaus fördert das ZMO die Vernetzung einschlägiger Forschungen und Institutionen innerhalb und außerhalb der Universitäten, auf regionaler und überregionaler Ebene. Das Forschungsinstitut versteht sich als ein Zentrum der Information und der Kooperation, als ein Ort interdisziplinärer und interkultureller Verständigungsprozesse.
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Seit seiner Gründung ist das ZMO in nationale und internationale Strukturen des Kulturdialogs eingebunden. So beteiligt es sich beispielsweise an dem »Dialog mit der islamischen Welt«. Dieser Gesprächskreis wird – insbesondere in Folge des 11. Septembers 2001 – durch Sonderprogramme unter anderem des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Kultusminister-Konferenz gefördert. Der Zugang zur »Jugend« in den Ländern der islamischen Welt stellt ein ausdrückliches Ziel der gegenwärtigen Dialog-Politik dar, wobei es bisher kaum empirische Studien gibt. Mit einem Arbeitstreffen zum Thema »Empirical Youth Studies in the Arab World« möchte das ZMO damit beginnen, diese Lücke zu schließen. Neuland haben ebenfalls Wissenschaftler des ZMO betreten, welche die historisch-politische Mythenbildung im Verhältnis Arabische Welt und Nationalsozialismus einer kritischen Betrachtung unterziehen.
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Das Forschungsprogramm des Zentrums umfasst derzeit neun interdisziplinäre Gruppen-Projekte. Überwiegen die historischen Kulturwissenschaften im weitesten Sinne, so werden ebenfalls wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Themen untersucht wie beispielsweise die transsaharischen Beziehungen zwischen Marokko und dem subsaharischen Afrika. Der Arbeitsschwerpunkt liegt auf den translokalen »Süd-Süd«-Verbindungen: auf dem »Forschen mit« Wissenschaftlern aus Afrika, Asien, dem Nahen Osten statt des »Forschens über« diese Regionen. Besonderen Nachdruck legen die Wissenschaftler des ZMO auf die Grundlagenforschung, die durch Archiv- und Feldforschung in den genannten Regionen realisiert wird. Dadurch gewinnen sie neue Perspektiven, die es ermöglichen, die eurozentrisch geprägte Wissenschaftskultur zu hinterfragen. Dies sollen drei Projekte exemplarisch veranschaulichen.
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Gegenstand des Projekts
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Gegenstand dieses Projekts sind kulturelle Praktiken des populären Islam, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts an verschiedenen heiligen Orten der Komoren und der südlichen Küste Tanzanias entwickelten. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Praktiken der Erinnerung an große geistliche Führer und Gründer der mystischen (sufi) Bruderschaften, die maßgeblichen Anteil an der Ausbreitung des Islams im modernen Ostafrika hatten. Diese Erinnerungspraktiken werden unter historischen und sozialanthropologischen Fragestellungen untersucht. Sie erschließen in hervorragender Weise die Dynamik von lokaler Einbindung und translokaler Vernetzung, die bis heute wirksam ist.
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Saba Ishrin
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Dies lässt sich unter anderem am Beispiel des Saba Ishrin (27 Djamada II Hidschra) verdeutlichen. An diesem Tag gedenken die Anhänger und Sympathisanten der târiqa (Bruderschaft) Shâdhiliyya-Yashrutiyya aus der umliegenden Region im Rahmen einer großen Zeremonie dem Todestag des Gründers ihrer Bruderschaft, Sayyid Muhammad Ahmad al-Ma'rûf (1852-1904). Diese Feierlichkeiten wurden in Moroni (Grande Comore) begangen, wo al-Ma'rûf bestattet ist. Sie fanden aber auch auf Madagaskar und in einigen Gebieten der ostafrikanischen Küstenregionen statt.
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Translokalität
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Einer der bedeutendsten regionalen Propagandisten dieser Zeremonien war Sayyid 'Umar bin Ahmad bin Sumayt (1886-1976). Er wurde murîd (Schüler/Anhänger) der Shâdhiliyya, für die er zahlreiche Gedichte schrieb, die während der Zeremonien rezitiert werden. Neben seiner Tätigkeit als Händler wurde er zunächst qâdi (Richter der islamischen Rechtssprechung) in Diégo-Suarez (Madagaskar), später leitender qâdi auf Zanzibar und zuletzt mufti auf den Komoren. An seinem Lebenslauf wird deutlich, was Translokalität auszeichnet.
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Die empirischen Feldforschungen werden auf Ngazidja, der Hauptinsel der Komoren, dann im Gebiet Kilwa-Lindi mit dem Hinterland in Süd-Tanzania durchgeführt. Dies geschieht durch zwei Teilprojekte, die sich durch ihren methodischen Ansatz unterscheiden und zugleich ergänzen.
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Innensicht
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In dem ersten Teilprojekt (Chanfi Ahmed) wird mit ethnologischen und philologischen Methoden anhand der Praktiken der Erinnerung und Verehrung vor allem die »Innensicht« der religiösen Akteure und ihrer Kontrahenten untersucht. Ausgangspunkte der Analyse sind die oben erwähnten Erinnerungsfeiern mit ihren performativen Handlungen und die kritischen Argumente der »neuen« 'ulamâ (Religionsgelehrte), die in aktuelle Debatten über die Heiligenverehrung einfließen.
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Während der teilnehmenden Beobachtung im September 2002 an den Zeremonien der Shâdhiliyya in Tanzania stellte Chanfi Ahmed folgendes fest: Die Predigten des heutigen Führers der tarîqa, Shaykh Nûruddîn Husayn, griffen zumeist die jungen, vom saudischen Islam beeinflussten Wahhabiten sowie die 'ulamâ an, die gegen die sufischen Bruderschaften eingestellt sind. Einflussreiche Persönlichkeiten wie der Führer der Qâdiriyya-Bruderschaft auf Zanzibar oder der ehemalige Staatspräsident von Tanzania waren während dieser Zeremonien anwesend und präsentierten sich allesamt an der Seite von Shaykh Nûruddîn Husayn. Dadurch wurde der hohe Stellenwert, welcher der Shâdhiliyya in der Region beigemessen wird, demonstriert und die Solidarität unter den sufischen Bruderschaften manifestiert. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als diese, wie alle volkstümlichen Praktiken des Islams, von allen Seiten Zielscheibe herber Kritik der Puristen werden.
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Außensicht
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Im zweiten Teilprojekt untersucht Achim von Oppen anhand mündlicher und schriftlicher Quellen die »Außensicht« der genannten religiösen Praktiken. Hier geht es um Erkenntnisse über persönliche Motive, soziale Kontexte und das räumliche Handeln der Beteiligten, sowie über deren historische Tiefe. Im Mittelpunkt steht hier zum einen die Frage, inwieweit die zeremoniell erinnerten Beziehungen der Gläubigen mit konkreten translokalen Bewegungen unterlegt waren oder sind, zum anderen auch die teils kritischen Sichtweisen nicht-islamischer Akteure.
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Ergebnisse
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Die religiösen Praktiken der Shâdhiliyya-Bruderschaft werden in der Region selbst von einem Teil der westlich orientierten Eliten für nicht-modern und von religiösen Reformern für nicht-islamisch gehalten. Die bisherigen Forschungen in diesem Projekt haben jedoch gezeigt, dass diese Praktiken im Gegenteil eine große Anpassungsfähigkeit an die Moderne aufweisen, insbesondere durch eine kontinuierliche Erneuerung lokaler und translokaler Vernetzungen. Sie bezeugen den eher toleranten Charakter und die Vielfalt des Islams in der Region. Diese Prakiken und Eigenschaften, welche die Sufi-Bruderschaften in besonderer Weise verkörpern, behaupten sich bis heute durchaus gegen die heftige Kritik etwa der Wahhabiten, die sich als Verteidiger eines monolithischen und vorgeblich »reinen« Islam verstehen.
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Ziel des Projekts
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Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit der Geschichte Marokkos. Ziel ist es, islamisch begründete Konzepte politischer Legitimität im Marokko des 19. und 20. Jahrhunderts zu analysieren. Gemeinsamer Ausgangspunkt der beiden Teilprojekte ist die Annahme, dass religiöse Ordnungsvorstellungen im Hinblick auf ihre dogmengeschichtliche Dimension und vor allem im Licht ihrer historischen Veränderbarkeit als Teil konkreter gesellschaftlicher Praktiken untersucht werden müssen.
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Thematische Schwerpunkte
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Bettina Dennerlein erforscht Formen und Funktionen islamischer Konzepte und Institutionen zur Bewältigung von Legitimationsproblemen in den historischen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts. Diese Konzepte und Institutionen sind bis heute ein wichtiger Referenz-Rahmen für gesellschaftspolitische Debatten um die Legitimität des marokkanischen Herrscherhauses und die Funktionen des Führers der Gläubigen im gegenwärtigen Marokko. Diesen widmet sich Sonja Hegasy im zweiten Teilprojekt. Im 20. Jahrhundert sind neben Spezialisten des Islam auch säkulare bzw. säkular gebildete Intellektuelle immer stärker zu wichtigen Akteuren des politischen und des kulturellen Feldes geworden. Im Rahmen der Entwicklungen von den sechziger Jahren bis heute und insbesondere im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Machtübergabe an Mohammed VI versuchen auch diese Intellektuellen, religiöse Konzepte und Traditionen für ihre Anliegen nutzbar zu machen.
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Forschungsansatz
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In dem Projekt stehen die historische Kontingenz und die reflexive Dimension religiöser Traditionen im Vordergrund. Traditionen werden weder als a-historische Formen noch als reine »Erfindungen« begriffen. Wissenschaftler haben zwar auf die Ungleichzeitigkeit zwischen der »materiellen« und der »symbolischen« Dimension des Wandels der marokkanischen Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert hingewiesen. Doch fehlt bisher eine systematische Analyse von Vorstellungen politischer Legitimität und deren Veränderung, die sowohl das Moment der »(Re-)Konstruktion« von Traditionen als auch deren Verankerung in konkreten gesellschaftlichen Kontexten berücksichtigt.
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Kontingenz religiös begründeter Ordnungsvorstellungen
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Die Untersuchungszeiträume der beiden Teilprojekte sind reich an Beispielen für diesen Doppelcharakter religiös begründeter Ordnungsvorstellungen. So zeigt etwa die islamisch artikulierte Opposition gegen die Einführung neuer Steuern im 19. Jahrhundert, dass hier nicht nur abstrakte Normen des islamischen Rechts, sondern auch soziale Interessen verteidigt werden. Ein weiteres Beispiel sind Debatten um das islamische Prinzip der Beratung in politischen Angelegenheiten. Ebenso sind die selektiven Angriffe von Herrschern, aber auch von Religionsgelehrten, auf bestimmte mystische Bruderschaften immer zugleich Ausdruck politischer und sozialer Konflikte (zwischen Herrschern und Gelehrten bzw. zwischen städtischer Bourgeoisie und städtischen Unterschichten oder der Landbevölkerung).
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Als Beispiel für den Wandel beziehungsweise die Neufassung religiös begründeter Konzepte politischer Legitimität im gegenwärtigen Marokko kann die Sakralisierung der Monarchie durch die Verfassung genannt werden. Die Verfassung als an sich säkulares Instrument schreibt die Heiligkeit der Person des Königs fest – eine Idee, die dem klassischen islamischen Recht fremd ist. Auch die Rolle des Königs als Amir al-Mu'minin (Herrscher der Gläubigen) ist per Verfassung verankert. Durch eine Verfassungsänderung nach dem Tod Mohammed V. im Jahr 1961 wurde außerdem die Erbmonarchie in Marokko eingeführt – ein Prinzip, das vom Standpunkt islamischer Gelehrter aus keinesfalls unumstritten ist. Ein weiteres Beispiel für die (Re-)Konstruktion islamischer Traditionen ist die bewusst gepflegte religiöse Pluralität (traditionelle Gelehrsamkeit, Reformislam, islamische Mystik, Heiligenverehrung, Verehrung der Prophetennachkommen), die den Einsatz verschiedener symbolischer Strategien zur Legitimation des Herrscherhauses erlaubt.
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Ziel des Projekts
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In dem dritten hier exemplarisch vorgestellten Projekt geht es darum, neuere Entwicklungen der Medienkommunikation in der arabisch-islamischen Welt im Hinblick auf strukturelle Veränderungen von Öffentlichkeiten zu analysieren. Ein paradigmatisch »neues« Medium, das Internet (Albrecht Hofheinz), wird dabei einem vergleichsweise »älteren«, den theoretisch orientierten islamischen Zeitschriften, gegenübergestellt (Lutz Rogler). Durch diese empirische Untersuchung zweier Medien soll das Projekt zum einen Aussagen darüber ermöglichen, inwieweit die jeweiligen Medien einen neuen Umgang mit religiösen, politischen und soziokulturellen Themen befördern und gleichzeitig strukturieren. Zum anderen soll untersucht werden, ob und wie sie Kritik an etablierten religiösen, politischen und intellektuellen Autoritäten üben und wie sich in ihnen neue Autoritäten konstituieren. Ferner werden die durch moderne Medien intensivierten Vernetzungen und Wechselwirkungen zwischen transnationalen und lokalen Öffentlichkeiten in den Blick genommen: die Beziehungen zu der islamischen Diaspora, beispielsweise im Westen, und zu globalen nicht-islamischen Öffentlichkeiten sowie die innerarabischen und -islamischen Verbindungen.
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majalla fikriyya
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Die ausgewählten theoretisch orientierten Zeitschriften im Umfeld der islamischen Bewegungen (majalla fikriyya) haben in den letzten drei Jahrzehnten eine wichtige Rolle für die Entwicklung des religiös-ideologischen Repertoires einer Reihe von (sunnitisch-)islamischen Bewegungen im Maghreb und im Nahen Osten gespielt. Sie trugen insbesondere zur kommunikativen Vernetzung islamischer Intellektueller verschiedener arabischer Länder bei.
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Cyber-Vernetzungen in der arabischen Welt
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Im Teilprojekt Digitaler Dschihad – virtuelle Demokratie – Allah.com: Cyber-Vernetzungen in der arabisch-islamischen Welt untersucht Albrecht Hofheinz die Nutzung des Internets durch ausgewählte islamische und säkulare Gruppen und Institutionen in drei arabischen Ländern (Ägypten, Sudan und Marokko). Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Akteuren, deren Handeln bereits vor der Einführung des Internets wesentlich auf die Beeinflussung der Öffentlichkeit in ihren Ländern abzielte (politische Parteien, Presse, Organisationen und Aktivisten der Zivilgesellschaft). Die Bildschirmwelt wird in den Zusammenhang sozialen Handelns gestellt, um besser zu erkennen, welche möglichen Auswirkungen »virtueller« Veränderungen sich in der »realen« Welt abzeichnen.
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Die drei untersuchten Staaten gehören zu den bevölkerungsreichsten der Arabischen Liga, in denen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen bislang nur eine kleine Minderheit das Netz regelmäßig nutzt. Politische und soziale Argumente gegen einen freien Zugang hatten keinen nachhaltigen Einfluss; staatliche Förderprogramme spielen dagegen eine wichtige Rolle. In erster Linie dient das Internet der stärkeren Vernetzung nach außen, dem Wirken zunächst in eine globale, dann in eine gesamtarabische Öffentlichkeit hinein und der besseren Anbindung an die Kommunkation in dieser »Außenwelt«.
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Meinungsvielfalt und Fragmentierung
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Das Spektrum der Meinungsvielfalt ist im Internet deutlich größer als in den »alten« Medien, auch im Vergleich zum Satellitenfernsehen. Wie andernorts auf der Welt werden im Internet arabische Stimmen veröffentlicht, die bislang auf private Zirkel beschränkt blieben. Die Vielfalt der Meinungen hat bislang nicht zur Ausdifferenzierung einer gemeinsamen Öffentlichkeit geführt. So haben etwa islamische Kräfte verschiedenster Ausrichtung keineswegs eine Hegemoniestellung errungen. Zu beobachten ist eher eine Fragmentierung: Immer mehr Stimmen in immer mehr öffentlichen Räumen kommunizieren vorwiegend nicht untereinander, sondern unter ihresgleichen. Ethnische, religiöse und ideologische Unterschiede werden eher betont denn kommunikativ aufgehoben. Gleichzeitig vollzieht sich diese Entwicklung aber in einem äußeren Rahmen, der von einer beschränkten Anzahl kultureller Bezugssysteme und von deutlich ungleichen Machtverhältnissen gekennzeichnet ist. Das Internet befördert damit Entwicklungen, die auch in der »realen« Welt seit einiger Zeit im Gange sind.
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