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Theorie und Praxis der Demokratie im Vergleich der Kulturen
9. Internationaler Kongress des Dialogprogramms Nord-Süd
Naucalpan, Mex. (Mexiko)
12.-15. März 2002
Veranstalter:
Missionswissen- schaftliches Institut Missio (MWI)
Website
Departamento de Filosofía, Universidad Autónoma Metropolitana (UAM)
Website
Facultad de Filosofía, Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM)
Website
Facultad de Filosofía, Universidad Iberoamericana (UIA)
Website
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1 |
Der Anlass für die Reise nach Mexiko war der bereits 9. Internationale Kongress des Dialogprogramms Nord-Süd zum Thema Theorie und Praxis der Demokratie im Vergleich der Kulturen vom 12. bis 15. März 2002 bei Mexiko-Stadt. Die Kongressreihe wurde durch Raúl Fornet-Betancourt, Lateinamerika-Referent des Missionswissenschaftlichen Instituts in Aachen, ins Leben gerufen und über die Jahre seit 1989 geleitet. Auf dem Kongress stellten sich Repräsentanten aus Ländern Afrikas, Asiens, Europas, Latein- und Nordamerikas der Frage zur Demokratie in ihren Heimatländern.
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Für Raúl Fornet-Betancourt soll interkulturelle Philosophie verschiedene Punkte erfüllen. Sie soll in einem gemeinsamen Konvergenzpunkt münden, der von keiner Kulturtradition dominiert oder kolonisiert wird. Sie stellt es sich zur Aufgabe, die komparative Philosophie zu überwinden und in einen offenen Prozess überzugehen, bei dem philosophische Erfahrungen aller Menschen durch Dialoge ausgetauscht werden. Für die folgenden Punkte kann zusammenfassend gesagt werden, dass Gleichberechtigung, Akzeptanz und Toleranz aller kulturellen Strömungen und philosophischen Denkrichtungen der Beweggrund dieser »neuen« Philosophie sind. 1
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Karl-Otto Apel (Frankfurt/Main) eröffnete den Kongress mit einem Vortrag zur Frage: »Ist ein politisches Konzept von überlappenden Übereinstimmungen eine angemessene Basis für globale Gerechtigkeit?« Oder anders gesagt: »Kann ein pragmatisch-politisches Konzept von demokratischen Übereinkommen irgendeine philosophische universalistische Gründung von globaler und interkultureller Gerechtigkeit ersetzen?« Bezüglich der ersten Frage verwies Apel auf den Titel Justice as Fairness des späten John Rawls aus dem Jahr 1985. 2 In der zweiten Frage nahm er Stellung zu Richard Rortys Verständnis von Rawls, das Rorty 1991 unter dem Titel The Priority of Democracy to Philosophy explizierte. 3 Apel sorgte für grosse Begeisterung bei seinen Zuhörern, sowohl bei den Vertretern des Faches, als auch bei den zahlreich erschienen Studenten. Aufgrund seiner Diskussionsfreudigkeit und der Bereitschaft zur ständigen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen gewann er sehr schnell die Herzen und Aufmerksamkeit seiner Zuhörer.
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Der mexikanische Philosoph Luis Villoro stellte die Rolle des Staates in einer liberalen Demokratie als die eines »Nachtwächters« dar. In dieser führten die Garantie der Individualrechte zum Ausschluss der Mehrheit der Bürger von den Entscheidungsprozessen. Die liberale Demokratie beruhe nur auf Stimmenabgabe, während die wichtigen Entscheidungen nicht von den Wählern getroffen würden. Letztlich sprach er sich für eine »kommunitäre« Demokratie aus, wie sie noch bei vielen indigenen Völkern Lateinamerikas praktiziert werde. Zur gegenwärtigen Lage in Venezuela unter der Führung Hugo Chávez' äußerte sich die Philosophin Carmen Bohórquez. Die Staatsform in ihrem Heimatland habe sich zu einer radikalen direkten Demokratie entwickelt, mit dem stetigen Verlangen nach einer neuen Verfassung.
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Während der argentinische Philosoph Carlos Cullen sich mit den politischen und wirtschaftlichen Defiziten in seinem Heimatland auseinandersetzte, nahm sein Landsmann Enrique Dussel, lehrend in Mexiko, die aktuellen Ereignisse des Terroranschlags vom 11. September 2001 als Einstieg, um auf die hegemonialen Bestrebungen der USA aufmerksam zu machen. Er verwies auf die Tatsache, dass sich die USA seit 1989 von internationalen Organisationen gelöst hatte und als souveräner Staat für sich definiere, wann ein Krieg legitim sei. »Tautologie des Zynikers« war seine Bezeichnung hierzu.
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Aus einer bis dahin eher ungewöhnlichen Perspektive wurde das Thema der Tagung von einem ökonomisch-philosophischen Standpunkt aus betrachtet. Franz Hinkelammert, seit 20 Jahren am Ökumenischen Forschungszentrum in San José (Costa Rica) tätig, vertrat die These, dass die privaten Bürokratien immer mehr die Macht im Namen der Demokratie und der Menschenrechte übernehmen würden.
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Raúl Fornet-Betancourt, Karl-Otto Apel und Enrique Dussel
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George Labica aus Paris versuchte in seinem Beitrag einen historischen Bogen zu spannen, indem er demokratische Konzepte während der Antike, des Marxismus, des Nazismus, des Mauerfalls und des jetzigen Frankreichs skizzierte. Apel verwies hierzu in einem Kommentar auf den »antipopularistischen« Hegel mit dessen Einschätzung, das Volk sei der Teil des Staates, der nicht wisse, was er wolle. Im Anschluss skizzierte Jean-Adalbert Nyeme aus der Demokratischen Republik Kongo in einem kulturhistorischen Abriss die Deportation, Versklavung und Kolonialisierung der Bevölkerung des subsaharischen Afrikas vom 15. bis 18. Jahrhundert. Hans Schelkshorn aus Wien thematisierte in einer kulturanalytischen Auseinandersetzung mit dem Titel »Rationale Selbstbestimmung oder entfesselte Sebstkreation« das Freiheitsverständnis moderner Demokratie.
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Um Freiheit ging es auch bei Kim Sang Bong aus Seoul, der den europäischen Freiheitsbegriff als einen Baustein der Demokratie analysierte. Die Koreaner seien vor 200 Jahren das erste Mal mit der abendländischen Philosophie in Berührung gekommen. Daraus ließe sich nach Kim die große Beliebtheit der westlichen Kultur in seinem Heimatland erklären. Freiheit sei im Sinne eines freiwilligen Handelns zu verstehen und nicht als beliebiges Handeln, denn sonst würde sie die Freiheit des Anderen beeinträchtigen. Kim bezog sich in seinen Ausführungen auf Yu Gil-Jun (1856-1914), der als erster Koreaner die USA und Europa bereiste. Nach Yu beruhe Demokratie darauf, das zu wollen, was das Volk will, das zu hassen, was das Volk hasst, und darauf, Gesetze und Staatsangelegenheiten gemäß der öffentlichen Meinung des Volkes auszuführen, so dass jeder an der politischen Öffentlichkeit teilhaben kann. Gegenüber dem abendländischen Begriff von Freiheit des Individuums stehe eine konfuzianistische Sichtweise, die den Menschen nicht in seiner selbstständigen Individualität verstehe, sondern im Kontext des »Ganzen« einordne. In diesem »Ganzen« nehme jeder eine bestimmte Rolle in der Gesellschaft ein. Der Mensch kann König, Vater, Ehemann, Bruder etc. sein, er ist aber niemals als solcher in der Welt. Der Konfuzianismus sehe den Menschen nur als Abstraktion, die keine Entsprechung in der Realität haben könne. Aus der Einbettung des Einzelnen in das »Ganze« folgt, dass keiner um seiner selbst willen existieren soll. Egoistisches Verhalten sei damit ausgeschlossen. Der Einzelne solle vielmehr für die Gesellschaft leben. Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts wären die Koreaner an Staatsformen gebunden gewesen, die den Männern bis vor 30 Jahren verboten haben, lange Haare wachsen zu lassen, und den Frauen, kurze Röcke zu tragen. Laut Kim sei erst nach 1997 ein demokratischer Regierungswechsel möglich gewesen. Es gehe nun nicht mehr darum, Freiheit zu erringen, sondern sie zu erhalten.
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Eine anders gelagerte Entwicklung im Prozess der Demokratisierung problematisierte schließlich der russische Philosoph Edward Demenchonok, der in den USA lehrt, als er sich mit den Schwierigkeiten der Transformation von zentralistischen zu demokratischen Regierungsformen in Russland auseinandersetzte.
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