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Tolerance in the Context of Interculturality and Globalisation
International, Intercultural and Interdisciplinary Conference
Mumbai (Indien)
12.-15. März 2002
Veranstalter:
Department of German and Russian, University of Mumbai
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Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie (GIP)
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Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik (GIG)
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Von 12. bis 15. März 2002 fand sich in Mumbai (Indien) eine beachtliche Zahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus Europa, Afrika und Asien zu einem intensiven interdisziplinären Austausch zu Phänomen und Konzepten der Toleranz zusammen. Die germanistische Abteilung an der Universität von Mumbai hatte die Fachvertreter aus Philosophie, Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaft, Theologie, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft sowie Repräsentanten der internationalen wirtschaftlichen Kooperation aus Mumbai zu einer internationalen, interkulturellen und interdisziplinären Konferenz zum Thema Tolerance in the Context of Interculturality and Globalization geladen. Die Tagung zu Toleranz stand konzeptionell in Kontinuität zu der ebenfalls von der Germanistikabteilung der Universität im Jahr 1998 durchgeführten internationalen Konferenz über Conceptions and Perceptions of each other: India vis-à-vis German speaking Countries.
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Annakutty V.K. Findeis, die Direktorin der Konferenz, unterstrich in ihrem Einführungsreferat, dass Mahatma Gandhi den Begriff ahimsa (Gewaltlosigkeit) wegen der darin enthaltenen Vorstellung von Gleichheit und Vielheit, zum Beispiel von religiösen Sichtweisen, gegenüber dem Begriff der Toleranz vorzog, da in letzterem noch Ausschluss, Dominanz und Geringerschätzung anderer Glaubensweisen zum Ausdruck komme. In diesem Urteil zeige sich bereits der interkulturelle Spannungsbogen der Thematik der Konferenz, wie auch die beiden Leitaussagen signalisierten: »Non-violence is the first article of my faith. It is also the last article of my faith« (Mahatma Gandhi) – »Once lead this people into war and they will forget there ever was such a thing like tolerance« (Woodrow Wilson).
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Toleranz in Philosophie und Religion
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Konzeptionelle Entwürfe einer interkulturell-philosophischen Erörterung der Problemstellung boten Ram Adhar Mall (München) und Heinz Kimmerle (Rotterdam). Mall plädierte im Sinne seines Konzeptes einer interkulturellen Philosophie für die These, dass philosophia und religio perennis keines Menschen alleiniger Besitz sei. Wenn dies akzeptiert werde, ergebe sich eine theoretische und praktische Kommunikationsmöglichkeit auch ohne Konsens. Er schlug die Methode einer »analogischen Hermeneutik« vor, die eine totale Identität und auch eine radikale Differenz ablehnt.
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Die Aktualität des Toleranzthemas im zeitgenössischen Kontext unterstrich Heinz Kimmerle als Repräsentant einer interkulturellen Philosophie, die ausdrücklich als dialogische Philosophie gleicher Partner definiert ist. Eine solche dialogische Philosophie akzeptiere alle Kulturen unter Einschluss derer, die vorwiegend auf orale Traditionen beruhen und ihre eigenen Wege der Philosophie besitzen. Der tolerante Vollzug einer derart offenen Philosophie von Gleichen schließe die Hegemonie der Philosophie der »Schriftkulturen« aus. Hinsichtlich der dialogischen Verfasstheit der Philosophie führte der Gedankengang die Teilnehmer in einen dialogischen philosophischen Prozess ein, in dem Kimmerle sein zur Achtung weiterführendes Verständnis von Toleranz in kritisch-prüfenden Analysen und Skizzen von Plato, Martin Buber, Emmanuel Levinas, Jürgen Habermas, Hans-Georg Gadamer und Bernhard Waldenfels konturierte. Ausgehend von Platons Sokrates-Dialogen akzentuierte Kimmerle im Hinblick auf eine Ereignis-Philosophie den Primat des Fragens vor der ungeprüften Antwort, wodurch die Gleichheit der Dialogpartner und der intersubjektive Ereignischarakter des Bewusstwerdens gegenüber dem Anspruch des Erkenntnisbesitzes und einer asymmetrischen Machtbeziehung zur Geltung komme. Die Zielrichtung der Argumentation führe im Vollzug des interkulturellen philosophischen Dialogs zwischen Gleichen in Differenz und ohne Zwang zum Konsens zur anerkennenden Achtung des Anderen in seiner Andersheit. Damit war ein Verstehensraum geschaffen, in dem sich auch die indischen Beiträge dialogisch einbringen konnten.
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Annakutty V.K. Findeis
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Ursula Baatz (Wien) öffnete den Blick auf die Relevanz der religiösen Erfahrung als weiterführende Perspektive im Verständnis der Toleranz, wobei sie insbesondere die mystische Dimension der Religionen erschloss. Damit sprengte sie die Systembindung des Religionsbegriff. Toleranz ist für Baatz mehr als das Tolerieren des Andersseins des Anderen. Toleranz bedeute volle Aufklärung aus der »Tiefenerfahrung«. Weitere thematische Akzente, die das Problemspektrum und die Diskussion bereicherten, setzten Rolf Elberfeld (Wuppertal) im Vollzug interkulturellen und komparativen Philosophierens aus der Perspektive der Skepsis, Eckhard Wolz-Gottwald (Münster) ausgehend von einer transformativen Hermeneutik und Hans P. Sturm (Augsburg) in einer Gedankenbewegung »zwischen Weisheitsideal und ethischem Sachzwang«.
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Von indischer Seite bot S.S. Antarkar (Mumbai) eine kritisch-komparative Analyse epistemologischer Schlüsselkonzepte jainistischer Philosophie und des kritischen Rationalismus im Hinblick auf ihre Relevanz für die Toleranzfrage; Shubhada Joshi (Mumbai) brachte einen Vergleich von vedischer und gadamerscher Hermeneutik und Kala Acharya (Mumbai) eine interreligiöse, symbolisch-hermeneutische Interpretation hinduistischer und christlicher Überlieferungen als Modell verstehender Toleranz in die Diskussion ein. N.S.S. Raman (Varanasi) erörterte die Toleranzfrage am Beispiel des Beitrags deutscher Gelehrter im 19. und 20. Jahrhundert zur Erneuerung der indischen Religionen. Kanchana Mahadevan (Mumbai) führte in die feministische Dimension der Toleranzdiskussion durch Untersuchung des Beitrags von Hannah Arendt ein. Dass Tolerant-Sein keine Selbstverständlichkeit sei, sondern dass ein tolerantes Subjekt erst einen Lernprozess durchlaufen müsse, worin die Praxis der Vielsprachigkeit und des universalen Respekts des Anderen einen bedeutenden Beitrag leiste, verdeutlichte Patrick V. Dias (Frankfurt) vor dem Hintergrund interkultureller Lernforschung. Mit Blick auf die Bestimmung und das Werden des tolerantes Subjekts bedürfe die Analyse der Toleranz immer einer historischen Dekonstruktion und der Hinterfragung autoritärer Strukturen.
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Michael E. Okoronkwo (Owerri und Umuahia, Nigeria) führte in einen besonderen kulturell-historischen Kontext der Diskussion über religiöse Toleranz und Intoleranz ein: Vor dem Hintergrund der Kolonial- und Missionsgeschichte Nigerias reflektierte er über die Folgen der von Missverständnissen gekennzeichneten Begegnung zwischen westlich geprägtem Christentum und der Igbo-Religion. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand nach Okoronkwo die Inkompatibilität des Verständnisses des absolut-transzendenten Mysteriums chukwu der Igbo-Religion mit dem damit konkurrierenden christlichen Anspruchs auf Exklusivität des eigenen Gottes- und Heilsglaubens. Mit Initiativen zur Förderung des interreligiösen Dialogs mit den Igbo-Traditionen und der afrikanischen Inkulturation von Theologie und christlicher Praxis tragen neuere kirchliche Entwicklungen in einer Realität von politischen und sozio-kulturellen Spannungen zum Aufbau einer alle Menschen einschließenden Dialog-Kultur im Dienst von Gerechtigkeit, Friede, Gleichheit und Solidarität bei.
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Das behandelte literarische Spektrum reichte von den jatakas buddhistischer Überlieferung bis zu Günter Grass' Tagebuch »Zunge zeigen«. Der ungarische Sprachwissenschaftler und Germanist Imre Szigeti (Budapest) verdeutlichte die linguistische Toleranz unter dem Gesichtspunkt des Polyzentrismus von Sprache im Kontext deutschsprachiger Länder. Der Beitrag von Irmgard Ackermann (München) analysierte unter der Leitfrage der »Toleranz interkultureller Literatur« den Beitrag der sogenannten Migrantenliteratur in deutscher Sprache, deren Autoren von ihr als »Seismographen für die notwendige Entwicklung« von der Toleranz zu gegenseitigem Respekt, Verstehen, Anerkennen und Solidarität gewürdigt wurden. Ergänzend dazu legte Kavita Bhatia (New Delhi) ihre Interpretation einer deutschsprachigen Novelle der türkischen Schriftstellerin Emine Sevgi Ozdamar in Auseinandersetzung mit dem Universalismusproblem des globalen Kapitalismus und der Ideologie des Multikulturalismus vor.
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Die Studien zu Günter Grass von Santha Kumari (Thiruvanathapuram) und Annakutty V.K. Findeis gingen auf Grenzen, Probleme und Perspektiven interkulturellen Verstehens in Wahrnehmung und Begegnung des Anderen in seiner konkreten sozialen und religiös-kulturellen Wirklichkeit ein. Stefan Hajduk (Pune) akzentuierte in seinem Beitrag über »Toleranz und Ästhetik des Anderen« unter anderem, dass zwar der Toleranzbegriff von kennzeichnender Bedeutung für das europäische Aufklärungsprojekt geworden ist, aber es an Kompetenz zur Toleranz fehle und sich keine ausreichende Sensibilität für die Andersheit, die Differenz und die Heterogenität entwickelt habe.
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Eine eigene Dimension des Toleranzverständnisses erschlossen Dr. Sujitra Jarjit und Kuntalee Vaityavanich (Hat Yai, Thailand) mit ihren Untersuchungen zur Toleranz (khanti) in der Thai-Literatur (jataka). Sie legten den Akzent auf die Praxis der Toleranz und deren Bedeutung für die Person, die Familie und die Gesellschaft. Die Toleranzthematik in der österreichischen Literaturszene erörterte Anna Malinowsky (Wien) am Beispiel der Theatervision Krystian Lupus. Das Literaturspektrum der Konferenz wurde in Richtung der vielfältigen indischen Literatur durch Mathew John Kokkatt (Palai) ergänzt, der sich am Beispiel eines Malayalam-Romans von Parappuram aus Kerala mit Aspekten der Toleranz und der interreligiösen Beziehungen am Beispiel des Verhaltens von Hindus und Christen in der literarischen Darstellung befasste. Hinsichtlich der Realisierung von Toleranz in einer multireligiösen Gesellschaft gebe der Roman im Kontext der Situation Keralas ein gutes Beispiel dafür, dass Gemeinsamkeit im Einverständnis darüber herrsche, dass es ein gemeinsames Recht auf Verschiedenheit gibt. Wo eine Religion einen Ausschließlichkeitsanspruch auf Heil geltend mache, habe sie mit Nichtanerkennung und Zurückweisung durch die anderen Religionen zu rechnen.
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Die Rolle der Medien in der Darstellung und Förderung von Toleranz und Intoleranz wurde an Beispielen aus der deutschen Medienwelt durch den Stuttgarter Medienexperten Wolfgang Wunden analysiert und anschaulich vermittelt. Auf die Macht der Medien bei der Verbreitung von Fanatismus und Fundamentalismus wies Gaston Roberge (Kolkata) hin.
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»Geeta Mehtha unterschied zwei Perioden von Toleranz, nämlich ›tolerance as grace‹ und ›tolerance as right‹, und betonte das Konzept Gandhis von sarva – dharma – samabhava, dessen Kernaussage sich in der gleichen Achtung aller Religionen, was mehr bedeute als bloße Toleranz, zusammenfassen lasse.«
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Im soziologischen Teil der Tagung lenkte der Soziologe Abdur Rahman Momin (Mumbai) die Aufmerksamkeit auf das paradoxe Phänomen der Globalisierung in der Spannung von globaler Homogenisierung einerseits und Betonung der Differenz im Hervortreten von Ethnizität andererseits. Sein eigener alternativer Ansatz zielte auf einen kritischen »Multikommunitarismus«. Michael Dusche (New Delhi) untersuchte das Prinzip liberaler Toleranz im Lichte der fundamentalen Menschenrechte und besonders im Zusammenhang mit der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls. Dass Toleranz zentrale Bedeutung für die Vervollkommnung der Kultur, Entwicklung der Gesellschaften und das Wohlergehen der Menschheit gewinne, unterstrich der Wirtschaftswissenschaftler Rajiv Nandan Yadav (Patna). Sushila Gosalia (Göttingen) plädierte für eine »Globalisierung mit menschlichem Gesicht« . Dazu gehöre kultureller Dialog und Toleranz, da beides zum Schutz der Menschenrechte beitrage.
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Wie in konkreten Wirtschaftsprozessen Toleranz, Interkulturalität und Globalisierung aufeinander bezogen sind und welche Bedeutung die Frage nach der Interkulturalität und die praktische Toleranz in einem global agierenden Konzern hat, stellten K.C. Damodaran von der Deutsch-Indischen Handelskammer in Mumbai mit Blick auf bilaterale Beziehungen und P. Ganguli, Manager für Human Resources bei BASF-Mumbai, am Beispiel eines transnationalen Unternehmens, das gezielt interkulturelle Kommunikationskonzepte eingeführt hat, dar.
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Der fortwährende Bezug auf die Bedeutung Mahatma Gandhis im Laufe der Konferenz fand im Vortrag von Geeta Mehtha eine Begründung und Vertiefung. Sie unterschied zwei Perioden von Toleranz, nämlich »tolerance as grace« und »tolerance as right« . Mehtha betonte das Konzept Gandhis von sarva – dharma – samabhava, dessen Kernaussage sich in der gleichen Achtung aller Religionen, was mehr bedeute als bloße Toleranz, zusammenfassen lasse. Zu beachten sei hier weiterhin, dass Gandhi den Rat gab, nicht nur die eigene Religion, sondern ebenso auch die anderen Religionen mit Sympathie und Aufgeschlossenheit zu studieren. Mehtha entfaltete die kritischen Perspektiven Gandhis hinsichtlich Kultur, Fortschritt und Globalisierung und unterstrich die fundamentale Bedeutung der Suche nach Wahrheit und der Verwirklichung von ahimsa in Leben und Denken als Grundsäulen wahrer Zivilisation.
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